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Barbie, Kaiser, Kirche

Was haben Barbie, Hans Christian Andersen und die Institution katholische Kirche gemeinsam?

Alle drei erzählen ein Märchen. Und damit natürlich eine Geschichte. Barbie erzählt die Geschichte von der perfekten Frau ohne Makel. Ken in der Nebenrolle erhält nur durch Barbie seine Bedeutung. Sie sagt, wo’s lang geht und er ist damit letztlich nur Staffage in ihrer schönen, heilen Kunstwelt.

In Andersens „ Des Kaisers neue Kleider“ weben pfiffige Marketingleute einen unsichtbaren, makellosen Stoff für den Kaiser, den alle bewundern, wenn der König sich in ihm zeigt, obwohl ihn keiner sehen kann. Wie auch? Der Kaiser ist nackt und die schöne Klamotte ist ja schließlich nur ein Luftgespinst. Es hat aber lange keiner die Traute, zu sagen, was er wirklich sieht bzw. nicht sieht. Man könnte ja doof dastehen, weil man blind für die Wahrheit ist.  Dann kommt ein Kind und spricht es aus. „Aber er hat(t)e ja nichts an“.

In der Institution Kirche gibt es das Märchen vom Klerus von Gottes Gnaden, umweht vom schönsten makellosen Stoff aus göttlicher Gegenwart. Ken ist in dieser Geschichte eine Kenja, die nur durch den Blick der klerikalen Männerwelt mit Bedeutung versehen wird. Eine nützliche Staffage, da wo sie gebraucht wird. Und dann passiert es: Viele Kinder aus dem Gottesvolk sind erwachsen geworden. Und sie trauen sich, zu sagen, dass der Kaiser und seine Kammerdiener in dieser Geschichte auf eine verstörende Weise nackt sind. Auch Kenja hat keine Lust mehr auf die Rolle der Servierfachfrau und äussert ihren Unmut.

Wir kennen die Stories und den vorläufig finalen Punkt, wollen aber dringend wissen, wie es weiter geht..

Na, jedenfalls was Barbie angeht, bleibt es nicht beim Kopfkino…Im Kino startet demnächst der Film „Barbie“ von der amerikanischen Filmemacherin Greta Gerwig. Und hier wird es jetzt richtig spannend, wo die Reise für die perfekte Lady hingeht: nämlich raus aus der Spielzeugwelt ins echte Leben. Für Gerweg steckt in dieser Reise eine „sehr alte spirituelle Geschichte, die an einem Ort beginnt, die kein Altern, keinen Tod, keinen Schmerz und keine Selbstreflexion kennt“ und mit der Frage weitergeht „wie man von einem Zustand der perfekt erscheint, ins Menschsein übergeht“ (Interview Claire Beermann mit der Regisseurin und Drehbuchautorin Greta Gerwig:  „Free Barbie“ im Zeit Magazin Nr. 29 vom 06.07.2023)

Wie es nach dem Ende „Des Kaisers neue Kleider“ von Andersen weitergeht, ist noch nicht klar. Das Märchen endet mit dem Satz: „Herr Gott, hört des Unschuldigen Stimme“ sagte der Vater und der eine zischelte dem anderen zu, was das Kind gesagt hatte: „Aber er hat ja nichts an! rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, sie hätten recht; aber dachte bei sich: Nun muss ich die Prozession aushalten. Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.“ (aus: „Des Kaiser’s neue Kleider, Die schönsten Märchen von Hans Christian Andersen, Esslinger Verlag)

 Ja, so tragen also die Höflinge des Kaisers die unsichtbare Schleppe, damit der Kaiser nicht vollends sein Gesicht verliert und vielleicht auch, weil sie sich den Stoff vor geschlossenen Augen irgendwie weiterhin stoisch herbeiträumen. Der Kaiser versucht, seine Schmach auszuhalten, damit die Kulisse nicht gänzlich ruiniert wird, wohl wissend, dass sie das schon lange ist. Und auch hier, wie im Barbie-Film wieder der Übergang von einem vermeintlich perfekten Zustand ins wirkliche Menschsein. Der Kaiser, ist  unter seinem unsichtbaren Gewand nackt wie die Anderen, und – was für eine Erlösung –  er hat es plötzlich mit Hilfe des Kindes kapiert.

Ja und dann gibt es ja noch in der heiligen katholischen Kirche das Märchen vom Gott geweihten Priesterstand, der – jedenfalls in der Theorie – in persona Christi handelt. Sie ist, wie in Andersens Geschichte, durch jene schmerzhaften, düsteren Wahrheiten, die die mittlerweile erwachsen gewordenen Kinder ausgesprochen und herausgeschrien haben, aus ihrer vermeintlichen Perfektion an ein zunächst vorläufiges Ende katapultiert worden, während die Prozession aber stur weitergeht und einige der Kammerherren noch straffer mit der Schleppe voranschreiten. Andere scheinen im aufkommenden Zweifel die Zipfel etwas lockerer zu lassen, derweil der oberste Hirte grübelt, wie er sein störrisches Volk wieder auf Kurs bekommt und sie endlich alle wieder erkennen, was nur er in seinem über alle erhabenen „Glaubenswissen“ zu sehen vermag. 

Der Zustand einer klerikal verfassten katholischen Kirche, die „ins Menschsein übergeht, ist trotz vieler Bemühungen an einzelnen Orten und in einzelnen Initiativen noch lange nicht geschafft.  Während Barbie nach einigen Jahrzehnten im Film endlich ihre Kunstwelt verlässt und der König im Märchen scheinbar verstanden hat, dass  Hochmut vor dem Fall kommt, sind die unsichtbaren Gewänder in der klerikalen Kirche noch lange nicht abgelegt.

Und so strömen wir synodal oder nicht synodal weiter bis zum nächsten Prellbock: Die „Krawallfrauen“, die Renitenten, die Möchte-Nicht-Mehr Kenjas, die Bewahrer:innen, die Ewig-Gestrigen, die unschuldigen Kinder und die Männer mit den unsichtbaren Gewändern und der Gotteslizenz als auch die, die dabei sind, die Strasse über kurz oder lang zu verlassen. Da hilft nur noch beten und die Chance zu ergreifen, es nach ziemlich viel Selbst- und Fremdbetrug wie Barbie und der selbstverliebte König endlich mit dem realen Leben und dem „Menschsein“ zu versuchen. Oder mal wieder zu den Wurzeln zurückzukehren und bei Jesus im Evangelium nach-und aufzuschlagen.

Margit Umbach

Foto: arunachal-art-mr on unsplash