Zum Inhalt springen

Bertolt Brecht; Epilog des Karfreitags


„Abermals gingen einige über sein Feld zur Abendzeit.
Der Himmel war dunkel. Wind ging. Das Korn blühte weit.
Sie gingen gebeugt und schwer im letzten Licht.
Ein fremder Mann ging mit ihnen. Sie kannten ihn nicht.
Sie waren traurig, weil Jesus gestorben war.
Aber einmal sagte einer: Es ist sonderbar. Er starb für sich.
Und starb ohne Sinn und Gewinn. Dass ich auch nicht leben mag: Dass ich einsam bin.
Sagte ein anderer: Er wusste wohl nicht, was uns frommt.
Sagte ein dritter: Ich glaube nicht, dass er wiederkommt.
Sie gingen gebeugt und schwer im letzten Licht.
Ein fremder Mann ging mit ihnen. Sie kannten ihn nicht.
Und einer sah übers Ährenfeld und fühlte seine Augen brennen.
Und sprach: Dass es Menschen gibt, die für Menschen sterben können!
Und er fühlte Staunen in sich (als er weiterspann):
Und dass es Dinge gibt, für die man sterben kann. Und jeder hat sie, und er hat sie nicht.
Weil er ́s nicht weiß. – Das sagte er im allerletzten Licht.
Es war ein junger Mensch. Es ging um die Abendzeit.
Der Himmel war dunkel. Wind ging. Das Korn blühte weit.
Sie gingen gebeugt und schwer im letzten Licht.
Ein fremder Mann ging mit ihnen. Sie kannten ihn nicht.“

Auf dem Emmausweg 2022

Ein langer Tag geht zu Ende. Ein kleine, versprengte Menschengruppe ist unterwegs. Sie schleppen sich in der matten Abendsonne müde und gottverlassen dahin. Es wird langsam dunkel. In ihrem Inneren rumort es. Wohin geht die Reise? Macht es Sinn, überhaupt noch weiterzugehen?

Die anderen sieht man gar nicht mehr. Sie haben längst die Biege gemacht, weil sie der Kirche misstrauen, Abscheu vor den Mißbrauchsskandalen empfinden und weil sie vor der Borniertheit mancher Würdenträger zurückschrecken. Und es werden immer mehr, die nicht mehr mitlaufen. Der Emmausgang, eine Blaupause für eine scheinbar „gottverlassene“ Kirche oder doch eher für eine Kirche, die in ihrer Selbstbeschäftigung einfach ihren Gott zu lange links hat liegen lassen?

Und der Rest, der noch mit dabei ist? Was tut die kleine, versprengte Gruppe? Wir gehen weiter und reden über das, was uns trotz Müdigkeit und Verdruss am Gehen und Aufbrechen hält. Über Grundsätzliches. Über unsere Zweifel. Über diesen ungewöhnlichen, unangepassten und beeindruckenden Menschen, der sein Leben für andere geopfert hat. Und was uns mit ihm in unserem Leben verbindet. Und plötzlich entsteht wieder Sinn. Der Funke springt über.

Der fremde Mann begleitet uns weiter, solange wir über ihn nachdenken, reden und ihn nicht links liegen lassen – ihn, den stillen Begleiter, der den Funke zündet, wenn wir ihm die Kerze reichen.

Ostern heisst Abschied und Aufbruch. Abschied von dem, was nicht mehr trägt und Aufbruch ins Neue mit jenem „unsichtbaren“ Auferstandenen, der immer war, ist und sein wird. Ja, und vielleicht ist dieser Wegbegleiter ein bißchen wie Ibi Upu, der heimliche Indianer aus einer Kindergeschichte von Janosch. Nur der kleine Hannes kann ihn sehen, weil er an ihn glaubt.

Ihnen und Euch allen ein frohes und gesegnetes Osterfest 2022!

Margit Umbach

Photo: Gianandrea Villa on unsplash