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Cafe Viereck

“Hello, I´m Johnny Cash….

www.youtube.com/watch?v=AeZRYhLDLeU

“Am 13. Januar 1968 tritt der Countrystar Johnny Cash vor 2.000 Häftlingen in der Cafeteria des Gefängnisses auf. Die Insassen kennen die Geschichten über den „Man in black“, dessen schwarze Kleidung ein politisches Bekenntnis zu den Armen und Entrechteten ist, der in seinem Leben in viele Abgründe geblickt und oft darüber gesungen hat.“ (vgl. Wikipedia)

Es ist Januar und die Kirchenbank zieht wieder aus. Nachdem wir im letzten Jahr viel „an der frischen Luft“ unterwegs waren, zieht es die Bank und uns diesmal nach drinnen, in die JVA Aachen, Häftlinge besuchen. In Nordrhein-Westfalen gibt es 36 Justizvollzugsanstalten mit 18.000 Plätzen und 5 Jugendarrestanstalten mit mehr als 150 Plätzen. Verschlossene Türen und vergitterte Fenster sind sinnbildlich für einen Lebensraum, der umgangssprachlich als Bau, Knast, Zelle, Bunker, Kasten, Karzer, Kittchen oder auch, weniger bekannt, als Cafe Viereck bezeichnet wird.  Laut statistischem Bundesamt gab es im März 2018 50957 Strafgefangene in Deutschland, von denen 94 % männlich , zwischen 30 und 50 Jahre alt sind und zwischen ein bis 5 Jahren im Knast bleiben. Eine mehr oder weniger abgeschlossene Welt, die nach strengen Regeln funktioniert und klare Abläufe vorgibt, die auf ein Leben in Freiheit vorbereiten sollen. Männer in dieser eingeschränkten Welt zu besuchen,  etwas Unterbrechung in ihren reglementierten Alltag zu bringen, gemeinsam an einer alten Kirchenbank zu arbeiten, von ihrem Alltag und ihren Themen zu hören und auch von uns zu erzählen, etwas von diesen Begegnungen mitzunehmen, dass unseren Blick erweitert, ist unser Ausgangspunkt für diesen Ort.

So frage ich erstmal an bei einem Bekannten, der in der JVA als Justizvollzugsbeamter arbeitet und stoße bei ihm umkompliziert auf offene Ohren. Er stellt den Kontakt zur ev. Gefängnisseelsorgerin Sabine Reinhold her; wir besprechen, worum es geht und die Dinge nehmen Dank ihrer tatkräftigen Unterstützung schnell ihren Lauf, sodass Pierre-Willy, der zum Projekt eine Hausarbeit schreiben möchte, Yasmin und Johannes Rueben, Mathestudent und Gitarrist und ich unsere Sicherheitsüberprüfung schnell hinter uns haben, und die Einweisung durch Frau Brust vom AKB  im Januar stattfinden kann. Wir überlegen, ob es möglich ist, neben den Besuchen von den Häftlingen eine Kirchenbank in der Werkstatt schreinern zu lassen und landen bei der Idee von Frau Reinhold, gemeinsam eine alte Kirchenbank als Entlass- und Angehörigenbank zu gestalten. Eine Bank, auf der die Männer auf ihrem Weg in die Freiheit kurz draußen sitzen, innehalten und auf ihre Angehörigen warten können, bevor es weitergeht in einen neuen Lebensabschnitt. Die Dinge nehmen ihren Lauf und das Projekt kann in der 3. Januarwoche starten.

Der erste Besuchsdonnerstag naht. Auf meiner Fahrt zur JVA erinnere mich daran, wie ich vor 35 Jahren mit  einer studentischen KHG Gruppe  alle 14 Tage – auch Donnerstags –  in die Jugendvollzugsanstalt Heinsberg fuhr, wo wir Zeit mit jugendlichen Strafttätern verbrachten und uns zwischen den Terminen Briefe schrieben. Somit kein gänzlich unbekanntes Terrain, das ich heute hier betrete, aber lange her. Nun bin ich aber doch ein bisschen aufgeregt.

Der Weg zur JVA Aachen ist über ein seltsames Straßenschild zu finden, auf dem die  JVA und die Kläranlage gemeinsam ausgeschildert sind. Wer beim Straßenverkehrsamt denkt sich so was aus, bzw. denkt gar nicht?   „Hier geht’s zur Kläranlage JVA“: ein prima Gottesdienstthema, wie Frau Reinhold meint. Wahlweise auch sehr geeignet als Fundstück für die Rubrik „Hohlspiegel“, einzureichen beim gleichnamigen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

Dann treffe ich Pierre-Willy und Johannes. Wir warten auf Einlass. Handys und Personalausweise verschwinden in der Schubtaste vor der Glaswand, hinter der ein freundlicher Beamter sitzt.  Frau Reinhold holt uns ab und führt uns zu unserem Treffpunkt durch viele Zwischentüren, die sie mit großen silbernen, antik aussehenden Schlüsseln auf- und abschließt. Draußen auf dem Hof zwischen den Streben der Zellengitter kleine bunte Stillleben, die von der frischen Luft gekühlt werden: Obst, Milchtüten und anderes, was dort wie ausgestellt steht und der Tristesse des Gefängnishofes etwas Leichtigkeit und Farbe verleiht. Im Raum warten vier Männer auf uns. Dass wir alle neugierig aufeinander sind und eine gespannte Vorfreude in dem kargen Raum liegt, zeigt sich daran, wie schnell das Gespräch in Gang kommt.  M. erzählt von seinen Emotionen, die ihn oft unvermittelt außer Kontrolle geraten lassen und betont dabei, wie sehr ihm die Seelsorgerin in solchen Situationen weiterhilft. Ich sehe, wie sehr er ihr vertraut. S. philosophiert und diskutiert gerne; er hat angefangen Gitarre zu lernen und freut sich, dass er beim nächsten Mal mit Johannes auf der hauseigenen Gitarre spielen kann.  J. und H. hören eher zu. Es geht um die Bank, die wir demnächst abschleifen und neugestalten wollen. Sozusagen von der langen Bank auf die Entlassbank rücken, auf der irgendwann jeder noch mal Platz nehmen kann, der das Café Viereck verlassen darf. Es geht um den Blick zurück und nach vorne. Sollte man zurückschauen wenn man in die Zukunft geht oder besser nur nach vorne? Die Meinungen dazu sind unterschiedlich. So entspinnt sich eine interessante Diskussion mit unterschiedlichen Meinungen zwischen M. und S. Die Zeit ist schnell um, und bis auf S. sagen alle, dass sie beim nächsten Mal wieder kommen wollen. Er ist noch unentschlossen. Mal sehen. Wir verabschieden uns nach diesem ersten „Schnuppertag“, gefüllt mit Eindrücken und der Rückmeldung, dass eine erste gute Annäherung stattgefunden hat.  Zwischenzeitlich ist nun auch die alte Kirchenbank und zukünftige Entlassbank  zum „lebenslänglich“ eingefahren, nachdem sie durch  die tatkräftigen Walheimer Helfer rund um Dieter von der Empore St. Anna Walheim  abgeseilt  und in Ulrichs Bulli zum Weitertransport befördert wurde. Hinter der Schleuse wird das alte Schätzchen mit der speckigen Kniebank von zwei Beamten entgegen genommen, die uns fragen, ob sie nun beten müssen. Unbedingt, kann ja nicht schaden! Wir lachen, dann wird sie in die Werkstatt gestellt und Ulrich und ich rücken wieder mit dem Bus zur Ausfahrtskontrolle aus.

Für unseren 2. Besuchstermin hat Frau Reinhold die Gitarre und die Werkzeugkiste organisiert. Und da steht sie nun unsere alte Bank, in der Mitte eines kargen, neonbeleuchteten Raums und wirkt nun plötzlich sehr präsent, aber auch „scheisse“ unbequem, wie jemand meint. Und ich frage mich im Stillen, warum in den letzten Jahrhunderten bislang noch keiner auf die Idee gekommen ist, so richtig gemütliche Kirchenbänke zu zimmern, auf denen man sich von der Mühsal und Plage des Alltags entspannen kann, wenn man mit Gott spricht oder seinem Nachbarn schwatzt. Während der nächsten anderthalb Stunden sitzen Pierre-Willy,  S., der wiedergekommen ist und N. mitgebracht hat, nebeneinander auf dem harten Kirchenmöbel, was gar nicht so unbequem sondern eher entspannt aussieht. Ein schönes, sonniges Bild, wo für einen Moment die Gefängnisumgebung in den Hintergrund tritt und einfach nur drei junge Männer aus ganz unterschiedlichen Himmelsrichtungen auf einer alten Bank zwischen dicken Mauern sitzen. Es geht heute um die Themenfindung. Was kann das Thema für die Entlassbank sein, oder hat jeder sein eigenes Thema? Auf dem Boden haben wir Postkarten ausgebreitet und Karten mit Emotionsbezeichnungen, Wut, Liebe, Trauer, Enttäuschung, Freude, Zuversicht, Angst.. M. reserviert sich direkt zu Beginn die Karte mit dem  Spruch „Mach was draus Alter“. S. mag die Tierkarte mit zwei eng aneinander gekuschelten Bären, Tiere, die ihn an seine osteuropäische Heimat erinnern. Dann zieht jeder eine Emotionskarte, zu der wir etwas sagen. N. hat die Emotion Liebe gezogen, weil, wie er sagt, dies die wichtigste Emotion sei, da ohne sie alles nichts ist. Wir lernen uns besser kennen. Es gibt sie nicht, die langen, netten Warm-up Drehschleifen, die man oft in anderen Unterhaltungen mit Menschen hat, die man nicht kennt. Es gibt entweder Schweigen oder Offenheit. Bevor die Zeit um ist, erklärt uns Frau Reinhold die Werkzeugkiste, in der alles vorbereitet liegt für die Schleifaktion. Bevor wir auseinander gehen, greift Johannes zu Gitarre und die Werkstatt füllt sich mit Musik. S. freut sich. Für ihn scheint die Gitarre spannender zu sein….

Für den folgenden Donnerstag suche ich einen Text bzw. ein Gedicht von Susanne Niemeyer „Gott-Held“ aus. Ich tue mich schwer mit der Textfindung, wäge ab, welche Worte passen könnten, aber das Gedicht „Gott Held“ soll es dann schließlich sein. Heute ist noch P. hinzugekommen, der sich schon länger für unsere Gruppe angemeldet hat, die im Haus unter der Bezeichnung Bibelkreis läuft. Auch Yasmin ist nun endlich dabei und wird mit großem Hallo begrüßt. Als sie erzählt, dass sie Pastoralreferentin ist, kommt von H. die Frage, was sie denn da mache und ob sie den ganzen Tag im Kloster verbringe und beten würde. Als Thema für die Bank kristallisiert sich „der Weg“ heraus. Und dann geht es an die Schleifarbeit. In gut einer Stunde sind fast alle Flächen abgeschliffen. Die Männer sind geschickt und schnell. Zwei Angestellte aus der JVA kommen zum Drehen der Arbeiten für einen Podknast vorbei.  Im Vorraum spielen Pierre-Willy und S. Gitarre. Yasmin hört zu.  Von P. erfahre ich, dass er von Beruf Handwerker ist. Befragt nach seinem Glauben, erzählt er mir, dass er gerne den Rosenkranz betet, da das für ihn beruhigend sei und dass er zum Glauben durch den Tod seines Freundes gefunden habe. Ich bin selten sprachlos, aber da fällt mir erst mal nichts mehr ein. Ich merke, dass mein Bild von Glauben im Knast durch seine Äusserung gerade einem drastischen reality check unterzogen wird.  P. erklärt mir, wie man den Rosenkranz betet. Und überhaupt, sagt Sabine Reinhold, „wenn Ihr welche übrig habt, dann her damit, sie sind hier sehr begehrt! Yasmin hat daraufhin eine sehr gute Idee für das Projektende! Dann steht die Bank da, abgeschliffen und irgendwie hell und frisch, gerade so, als warte sie auf Ausgang. In Windeseile wird der Raum gesäubert,  wir verabschieden uns und gehen nach einer kurzen Abschlussrunde auseinander – die Männer in ihre Zelle und wir zurück zur Arbeit oder nach Hause.

In der folgenden Woche bringt Yasmin Karten mit, auf die bunte Fischmotive gedruckt sind. Jeder sucht sich eine aus, und erzählt, warum er sie gewählt hat bzw. welche Emotion der Fisch für ihn/sie heute ausdrückt. Dann können die Karten rumgedreht werden, um zu sehen, welche Emotion dem Fisch zugedacht war und ob sie vom eigenen Stimmungsbild abweicht. P. zieht einen düster dreinblickenden Fisch. Er wirkt heute frustriert. Weitere engagierte Schleifarbeiten durch J., ein intensives Gespräch mit P., das gemeinsame Singen des von ihm gewünschten Geburtstagsgigs Laudato si mit Gitarrenbegleitung von Johannes, süße Nikolaustüten von Frau Reinhold und das auf Farbkarton geklebte Gedicht „Gott-Held“ zum Mitnehmen auf die Zelle. Alle suchen sich nochmals eine Karte mit Fischmotiv aus. P., nun etwas gelöster, nimmt sich gleich zwei. Für Deine Kinder? frage ich. Er nickt. Nur der Moment zählt und das Gefühl, was gerade da ist. Stimmungen wie Frust, Trauer, Wut,  Hoffnungslosigkeit, Freude kennt jeder von uns, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen und Situationen.. In dieser kleinen und doch elementaren Schnittmenge vermögen wir uns zu begegnen und zu erkennen.

Beim nächsten Mal sind wir nur zu viert; N. hat sich die Schulter ausgekugelt, H. ist auf Arrest, M. auf Arbeit und von S. hat vielleicht keine einfach keine Lust heute, M. kämpft mit seinen Stimmungen und hat endlich eine Arbeit, wo er sich einbringen kann. P. und J, sind da. Johannes spielt zum Auftakt Gitarre. Ein JVA-Beamter kommt vorbei und sagt, dass er noch einen Gitarristen für die JVA Band braucht. Ja, vielleicht, mal sehen, scheint Johannes erstaunter Gesichtsausdruck zu sagen. Dann machen wir uns an die Arbeit. J. und P. sind versierte Handwerker. Nichtsdestotrotz machen uns die Geräte zu schaffen, sodass wir für das nächste Treffen nach einer anderen Lösung suchen müssen. J. fräst einen Weg in die mit Malerkreide vorgezeichneten Linien und rutscht an einer Stelle etwas über den Wegesrand. P. kommentiert: Vom Weg abgekommen! Da wir gerätetechnisch nicht weiterkommen, erproben uns schließlich in einem kreativen Versuch, Bilder, Fotografien mit Phototransferleim aufs Holz zu bringen, wissen aber bis zum Ende des Besuchs noch nicht, ob der Versuch geklappt hat, weil die Fotos erst trocknen und dann abgerubbelt werden müssen. So bleibt für heute noch unklar, ob der stahlblaue, zum Himmel gerichtete Kopf von Jesus, den sich P. ausgesucht hat, oder der Vogel zwischen den Gittern auf den J.‘s Wahl gefallen ist, als Tattoo von dem alten Eichenholz akzeptiert werden. Noch sieht man nur die weisse Seite. Na ja, Versuch macht kluch…  während die Zeit wie immer in Windeseile umgeht. In den letzten 20 Minuten kommt als Stellvertreterin für Herrn Lennartz eine junge Frau, die  heute die Arbeiten an der Bank dreht. Noch Zeit genug für Johannes sich die Gitarre zu schnappen, und gemeinsam Leonard Cohens „Halleluja“ singen. Das gebrochene Hallelujah.  Wir räumen eilig alles zusammen und verabschieden uns auf übernächsten Donnerstag, da der nächste Termin ausfallen muss. Beim Verlassen des Raums passieren wir zwei Männer, die rauchen. Obwohl ich mir das Rauchen weitgehend abgewöhnt habe, kann ich es mir gerade nicht verkneifen und frage, ob ich eine haben darf. Die Antwort darauf ist eine ausgestreckte Hand mit einer gefüllten Zigarettenschachtel. Ich freue mich. Frau Reinhold meint, dass ich den Männern mit meiner Bitte ein Riesengeschenk gemacht habe. Ich bin mal wieder total perplex. Welches Geschenk? ich habe doch was bekommen und war noch so dreist, die Männer, die nur wenig Geld haben, um eine Zigarette anzuschnorren. Frau Reinhold erklärt mir, dass ich mich bedürftig in diesem Augenblick gezeigt habe, und dass es für die Inhaftierten etwas sehr Rares, Außergewöhnliches und daher ein Geschenk sei, wenn sie anderen etwas geben, bzw. ihnen aus ihrer Bedürftigkeit helfen können. Ich erfahre, dass kein JVA Bediensteter etwas – und sei es noch so klein – von den Inhaftierten annehmen darf. Der Grund dafür liegt auf der Hand ist und ist nachvollziehbar, umso schöner ist es doch, dass sich in unserer kurzen Begegnung mit mir als „Nicht-Zugehöriger“ ein Raum für diese Erfahrung des Schenkens und Beschenktwerdens einstellen konnte. Auf der Rückfahrt machen Johannes und ich noch schnell einen U-Turn  auf der Krefelder Str. um ein Photo von dem mißglückten Straßenschild zu schießen, das – ganz ähnlich wie die Kirchenbank – eine grundlegende Überarbeitung braucht, damit die Richtung wieder stimmt.

Fortsetzung folgt.

Margit Umbach

Gott-Held

Du haust die Dinge nicht kurz und klein.

Du flüsterst Mutparolen in mein Herz.

Du füllst Blei in meine Beine, wenn ich standhalten will.

Den Angreifern gibst du keins auf die Mütze. Aber

du stehst bei den Schwachen und machst sie stark.

Dein Halfter ist leer.

Du zeigst nicht, wo’s lang geht.

du bist der Weg.

Die Seelenmonster unter meinem Bett vertreibst du

und in meinen Träumen machst du mich groß.

Du bist

Nachtvertreiber

Große Schwester

Ich-bin-da

Susanne Niemeyer

(mit Ihrer freundlichen Genehmigung, liebe Frau Niemeyer, vielen Dank dafür!)