Wir könnten Menschen sein.
Einst waren wir schon Kinder.
Wir sahen Schmetterlinge.
Wir standen unterm silbernen Wasserfall.
Wir sahen alles.
Wir hielten die Muschel ans Ohr.
Wir hörten das Meer.
Wir hatten Zeit.
(Max Frisch)
Zugegeben: es war auch die Zeit der lästigen Beerenpflückerei: Erdbeeren, Stachelbeeren, Johannisbeeren, Himbeeren galt es eimerweise zu ernten und zu verarbeiten, und mein Bruder und ich stritten regelmäßig darum, wer von uns beiden „in die Stachelbeeren“ musste. Andererseits aßen wir uns dabei auch die Bäuche voll und ließen den lieben Gott einen guten Mann sein.
Es war die Zeit, in der wir mit Mama und Papa in die Berge fuhren, mit Oma und Opa in die Berge fuhren und später auch mit der Kinderfreizeit in die Berge fuhren. Auf diese Weise lernten wir eine Alm nach der anderen kennen, und die Abzeichen auf unseren Wanderstöcken vermehrten sich auf wundersame Art und Weise. Später entdeckten Mama und Papa dann die Nordsee und wir alle zusammen fuhren ans Meer. Da war es vorbei mit den Abzeichen. Stattdessen gab es stundenlange Wanderungen am Strand und jedes Jahr kam ein neues Sortiment an Friesennerzen und Gummistiefeln dazu.
Und ich durfte endlich lesen so viel ich wollte. Ich glaube, ich habe in diesen Wochen ganze Büchereien leer gelesen. Wir saßen stundenlang im Birnbaum, streiften durch die Felder, und abends war es immer noch warm, und wir mussten noch lange nicht ins Bett.
Die Zeit stand irgendwie still, und es umgab uns ein Gefühl von Leichtigkeit und Unendlichkeit.
Später, als Erwachsene, war es dann auf einmal anders. Da war es nicht mehr so leicht und unbeschwert. Geblieben ist – Gott-sei-Dank – das Gefühl von Freiheit und „endlich-Zeit-haben“. Und die Sehnsucht danach, endlich dem Raum geben zu können, was im Lauf des Jahres manchmal zu kurz kommt: einfach nichts zu tun. Abends, am Feuer auf der Terrasse.
Und ich muss noch lange nicht ins Bett…
Ich wünsche Euch eine schöne, erholsame Sommerzeit!
Dorothee Wakefield