Zum Inhalt springen

Vorfreude

Vor einiger Zeit lernte ich H. kennen. Ein Bekannter aus meinem damaligen Arbeitsumfeld hatte ihm vom Kirchenbanktermin im Ostviertel erzählt. H. ging es nicht gut. wir saßen vor einer Kneipe, in der die polnische Wirtin wunderbare Suppen kochte und sich Menschen mit Erfahrung auf den Großbaustellen des Lebens zur Pause auf ein Bier und eine Zigarette trafen. Als wir nach einem intensiven Gespräch auseinandergingen,  bat er mich, ihm eine Sms zu schicken, wenn ich wieder mit der Bank unterwegs sei. Es verging eine Weile, bis uns der Zufall schließlich an einem anderen Ort wieder zusammenführte, an dem ich erfuhr, dass H. nicht nur Gott, sondern auch die Rolling Stones, gute Jeans, sein Radio, den Gebetsabend „night fever“, moderne Cafés und ganz besonders seine Selbstbestimmung liebte. Irgendwann später fragte ich ihn, ob er meinen Mann und mich zur Nacht der offenen Kirchen – einem jährlich wiederkehrenden, spirituellen Flanierabend durch die Kirchen Aachens – begleiten wolle. Er stimmte freudig zu.

Als wir an jenem Abend aufbrachen, erzählte H., dass er nach einem schwierigen Jahr wieder optimistisch in die Zukunft schaue und an diesem Morgen voller Vorfreude auf den heutigen Abend aufgestanden sei. Er habe sehr gehofft, dass nichts dazwischen käme und er nicht enttäuscht werde. Wir aßen in einem Restaurant zu Abend, umgeben von vielen jungen Menschen, die uns freundlich anlächelten und aufmerksam bedienten. H. wurde nicht müde zu betonen, wie gut ihm das zur Suppe gereichte Brot schmeckte. Gestärkt zogen weiter auf unserer abendlichen, von Licht, Farben, Klängen, Stille und Poesie durchwebten Reise, die kurz vor Mitternacht dort endete, wo sie bei H. am Morgen begonnen hatte: bei der Vorfreude.

Und so klingt es fast schon ein wenig unglaublich, was zum Ausklang des Abends bei einer Lesung in der Citykirche passierte. Pfarrer E. erzählte die Geschichte „Von der Vorfreude“; jener Freude, die gehen muss, wenn die Freude kommt und enttäuscht wird, wenn sie nicht erscheint.

H. lächelte still in sich hinein, sah zu uns hinüber und sagte: Es war mir eine Freude.

Margit Umbach

Foto: Matteo Vistocco on unsplash