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Kreuzungen und Haltestellen

Es ist Mai. Zeit, wieder mal mit der Bank auszuziehen. Ich entscheide mich für das Dreiländereck und suche mir nach einer Vorbesichtigung einen Platz aus. Er liegt auf der holländischen Seite vor einem Restaurant zwischen Kinderspielplatz, Restaurant und Labyrinth. Allerdings brauche ich das o.k. des Restaurantsbesitzers und beschreibe ihm deshalb mein Anliegen. Ja, das ist doch eigentlich harmlos, meint er, ich solle ihm aber noch mal eine ausführliche email dazu schreiben. Die Bank, so sagt er, soll die Passant*innen jedenfalls nicht belästigen und die Gastro-Kund*innen nicht vergraulen. Auf meine Mail an ihn erhalte ich keine Antwort mehr. Egal. Ich werde schon ein Plätzchen am Weg finden.

Der Samstag ist da und das Wetter gut. Ich entscheide mich für einen Platz benachbart zum Dreiländerpunkt. Als ich die Bank zusammenbauen will, stelle ich fest, dass ich die Schrauben vergessen habe. Zurückfahren kostet zuviel Zeit,  also improvisieren, die Rückenlehne lose im unteren Bereich zwischen die Wangen stecken, wo sie eigentlich nicht hingehört und das Imagine Buch mit dem Liedertext von John Lennon oben drauf. Sieht etwas komisch, verrutscht und schwer identifizierbar aus. Imagine… Daneben postioniere ich die beach flag der Kirchenbank, den Bistrotisch mit den Rosen, den seedballs und ein paar Karten. Nebenan am Dreiländerpunkt ist es wuselig. Die BesucherInnen stehen mit ihren Handys Schlange, lassen sich lachend vor den im Wind wehenden niederländischen, belgischen und deutschen Nationalfahnen fotografieren, während sie mit ihren zwei Füssen gleichzeitig in drei Ländern stehen. Bei mir, 5 m entfernt, ist es sehr ruhig und läuft zäh. Kein Dreifaltigkeitspunkt 😉, jedenfalls kein sichtbarer. Ein paar verhuschte Blicke von PassantInnen, eine junge Frau, die kurz stoppt und fragt: ‚“Was ist das hier?“ und sich nach meiner kurzen Auskunft abgetörnt abwendet. Es ist ein munteres Treiben hier. Familien spazieren vorbei, werfen mir kurze verhuschte Blicke zu, Radfahrer schnurren mit konzentriertem Blick den Weg entlang. Vis á vis  von mir sitzen Gäste in der Außengastro bei ihrem Leffebier und beäugen mich neugierig aus kritischer Distanz. Schließlich komme ich ins Gespräch mit einem dänischen Studentenpaar aus Aarhus; wir reden kurz über dieses oder jenes; jedenfalls nicht über Glaubens- und Kirchenfragen. Mein Gefühl sagt mir, dass es nicht passt.  Ein deutsch-niederländisches Ehepaar lässt sich von mir ansprechen; Sie leben in Deutschland, sind keine regelmäßigen Kirchgänger*nnen, kritisch was die katholische Kirche angeht, aber gläubig und mit einigen Veränderungswünschen für dieselbe. Sie erzählen mir, warum die frohe Botschaft in ihrem Alltagsleben wichtig ist und meinen, dass ich es wohl schwer heute hier hätte, da der Glaube an Gott und Mitgliedschaft in der Kirche in den Niederlanden kaum noch eine Rolle spiele. Ihre Wahrnehmung deckt sich mit den Ergebnissen der von 1966 bis 2015 durchgeführten Langzeitstudie „Gott in den Niederlanden“, die ergab, dass der Anteil der Niederländer*nnen, die an Gott glauben, von 47 Prozent auf 14 Prozent gefallen ist. Konfessionell betrachtet, leben in den Niederlanden 24 Prozent Katholik*innen, 15 Prozent Protestant*innen und 5 Prozent Muslim*innen, 6 Prozent sind anderen Religionen zugehörig, die Hälfte der Menschen ist konfessionslos. Klöster sind in den Niederlanden fast ganz verschwunden. Geblieben ist u.a. die Provinz des früher blühenden Dominikaner Ordens, der noch 4 kleine Klöster unterhält. Mit dem Ordensleben der Frauen ist es nicht besser bestellt. Die Ursachen für das Verschwinden des Katholizismus in den Niederlanden sind hier wie anderswo bekannt: ein rigider dogmatischer, antidemokratischer und frauenausgrenzender Klerikalismus sowie über 10.000 vertuschte Mißbrauchsfälle und ganz allgemein die Säkularisierung westlicher Gesellschaften. So bleibt auch hier offen, ob und wie es mit Glauben und Kirche in den Niederlanden und anderswo in Europa weiter geht.

Wohin gehen wir und wohin gehen die, die der Kirche davon laufen?

Kleine Hoffnungsinseln mit vielleicht zukunftsweisender Richtung könnten sogenannte Basisgemeinden nach dem Vorbild der ökumenischen Studenten-Gemeinde Ekklesia sein, die in 70er Jahren von dem ehemaligen Jesuitenpfarrer und Poeten Huub Osterhuis in Amsterdam aufgrund der Kritik am Zölibat und der Engführung liturgischer Formen geprägt wurde. Lange vor dem synodalen Weg setzte er konsequent seinen Traum von einem anderen Katholizismus um, in dem er handelte – mit Protestanten gemeinsam das Abendmahl feierte, Frauen als Vorsteherinnen der Eucharistie einsetzte und die Bibel in eine zeitgemäße religiöse und poetische Sprache übersetzte.

„Eine Kirche steht, eine Ekklesia geht“ (Huub Osterhuis)

An diesem Samstag lerne ich auch die Künstlerin Mya und ihren Mann aus Enschede kennen. Mya zeichnet am liebsten Bäume. Lebendiges Christentum heisst für sie: in Bewegung bleiben und Neues auf dem Weg entdecken. Das Bild das sie mir schickt, passt zum Zitat von Huub Osterhuis, wie ich finde: die hohen Bäume sind die Kirchen, und wir als wanderndes Gottesvolk dazwischen. Wohin gehen wir? Und wohin gehen die Anderen? Immer nach Hause, wie der Dichter Novalis wohl darauf antworten würde.

Die Kirchenbankfahne stelle ich schließlich zu den drei Europafahnen.  Drievuldigheidspunt und Drielandenpunt. Weht zusammen?!

Margit Umbach

Licht, das uns anstößt, früh am Morgen

Licht, das uns anstößt, früh am Morgen
uraltes Licht, in dem wir stehn,
kalt, jeder einzeln, ungeborgen,
komm über mich und mach mich gehn.
Dass ich nicht ausfall , dass wir alle,
so schwer und traurig wie wir sind,
nicht aus des andern Gnade fallen
und ziellos, unauffindbar sind.

Licht, meiner Stadt wachsamer Hüter,
Licht, ständig leuchtend, das gewinnt.
Wie meines Vaters feste Schulter
trag mich, dein ausschauendes Kind.
Licht in mir, schau aus meinen Augen,
ob irgendwo die Welt ersteht,
wo Menschen endlich Frieden schauen
und jeder menschenwürdig lebt.

Alles wird weichen und verwehen,
was auf das Licht nicht ist geeicht.
Sprache wird nur Verwüstung säen,
unsere Taten schwinden leicht.
Licht vieler Stimmen in den Ohren,
solang das Herz in uns noch schlägt.
Liebster der Menschen, erstgeboren,
Licht, letztes Wort von ihm, der lebt

Huub Osterhuis

Bild: Künstlerin Mya Notkamp aus Enschede